Handbuch
Karma
Glaube, dass jedes Unrecht aufgewogen und jede gute Tat belohnt wird.
Der Gedanke, dass gutes wie schlechtes Handeln sich eines Tages rächt beziehungsweise auszahlt findet sich in irgendeiner
Form in fast allen Religionen wieder, aber auch bei Verfechtern der jeweils herrschenden Gesellschaftsordnung, die man in diesem Kontext als Systemgläubige bezeichnen könnte. Diese
Idee ist psychologisch gesehen Ausdruck des Bedürfnisses, in einer fairen Welt zu leben (→Wunschdenken) und hilfreich für den Umgang mit
belastenden Ereignissen. Konfrontationen mit Ungerechtigkeit und sinnlosem menschlichen Leid können leichter verarbeitet werden, wenn man auf eine ausgleichende Kraft vertraut
(→Ausgleichende (Un)gerechtigkeit), die entschädigend oder strafend wirkt. Gleichzeitig befreit dieses Vertrauen den Gläubigen von jeglicher
Handlungsverantwortung und damit eventuellen Gefühlen der Hilflosigkeit.
Wann wendet man das an?
Über den Wahrheitsgehalt religiöser Überzeugungen kann aufgrund deren natürlicher →Unfalsifizierbarkeit nicht entschieden und nur schwerlich diskutiert werden, weshalb diese Taktik nicht sinnvoll angegriffen, aber auch nicht verteidigt werden kann.
Auf politischer Ebene wird Karma oft benutzt, um Menschen die Schuld an ihrem eigenen Unglück zuzuschreiben, was menschlich zu verurteilen ist. Andererseits ist Karma als Trost geeignet, das einen späteren Ausgleich des erlittenen Unrechts verspricht, hat aber als Argument keinerlei Wert.
- „Wer Arbeit sucht, findet auch welche.“
- „Aber wenn er schuldig wäre, wäre er doch nie freigesprochen worden!“
- „Nun reg dich doch nicht so auf, am jüngsten Tag wird er dafür schon büßen.“
- „Wenn du nichts zu verbergen hast, kann dir doch durch totale Überwachung gar nichts passieren.“
Was tut man dagegen?
Widerlegen lässt sich der gerechte-Welt-Glaube nur dann, wenn er nicht auf übernatürlichen Einflüssen beruht. Lassen sich also Beispiele (→Fallbeispiel) für anhaltendes Unrecht finden, können diese dagegen angeführt werden.
Da Glaube immer verschieden interpretiert werden kann, ist es prinzipiell möglich, unter Berücksichtigung der Grundannahme des Gegenübers andere Interpretationen zu finden, die dessen Aussage zuwiderlaufen. Auch andere Glaubenssysteme können Karma entgegengestellt werden.
- „Der Gutachter kann sich auch geirrt haben. Menschen sind fehlbar.“
- „Eine Wiedergutmachung in diesem Leben wäre aber einer nur vielleicht Überhaupt stattfindenden Wiedergeburt als Ameise vorzuziehen.“
- „Man kann sich noch so sehr anstrengen, wenn man sich im falschen Moment das Bein bricht, hat man als Selbständiger trotzdem keinen Erfolg.“
- „Und was, wenn Gott uns prüfen will, ob wir seine Gebote auf Erden umsetzen, statt auf seine spätere Rache zu vertrauen? Oder hat ein Kind, das kurz nach der Geburt verhungert, auch seinen Zorn auf sich gezogen?“