Handbuch
Deutungshoheit
Umdeutung oder Neudefinition der diskutierten These oder verwendeter Begriffe vornehmen.
Deutungshoheit beschreibt das Recht oder die Macht, zu definieren - sei es ein Sachverhalt, ein Begriff oder das Gesprächsthema. Weniger klar ist in der Regel, wem sie zusteht. Steht eine Definition im Duden, weil sie korrekt ist oder ist sie korrekt, weil sie im Duden steht (→Umgedrehte Kausalität)? Dementsprechend kann jeder Gesprächsteilnehmer sie anwenden und seine eigene Deutung präsentieren, was jedoch grundsätzlich den Charakter einer Behauptung hat. Um sich konstruktiv zu verständigen, ist eine Einigung auf Begrifflichkeiten und Gegebenheiten notwendig, eine solche Einigung kann jedoch nicht einseitig erfolgen. Daher wird in der Regel auf →Autoritäten zurückgegriffen, wobei auch diese allgemein anerkannt sein müssen, um ihnen Definitionsmacht zu gewähren. Schwingt sich ein Diskussionsteilnehmer selbst zur Autorität auf, muss er entsprechend hinterfragt oder in seiner Definition bestätigt werden.
Generell kann zwischen zwei Formen der Deutung nach ihrem Geltungsbereich unterschieden werden: allgemeine und auf das Gespräch beschränkte. Bei Letzterer wird über Gesprächsthema und -ziel entschieden, wohingegen Erstere die Gesprächsgrundlage betrifft.
Wann wendet man das an?
Grundsätzlich ist es nötig, sich über Begriffe, Diskussionsziele und Prämissen zu verständigen (→Meta). Wird die Deutungshoheit nicht mit absolutem Wahrheitsanspruch ohne Belege (→Beweislast) vorgetragen, sondern klar als subjektive Meinungsäußerung gekennzeichnet, gibt es an ihr nichts auszusetzen. Wird sie verwendet, um die eigene These zu stützen (→Suggestion), die gegnerische zu diskreditieren (→Strohmann) oder das Gespräch zu lenken und seinen Inhalt vorwegzunehmen (→Brunnen vergiften), handelt es sich jedoch um einen Manipulationsversuch. Richtig angewandt kann man mit Definitionsversuchen jedoch Klarheit schaffen, Missverständnissen vorbeugen oder diese aus dem Weg räumen, Diskussionen versachlichen und sie strukturieren. In moderierten Debatten steht die Definitionsmacht über die Debatte dem Moderator, in Diskussionen im Anschluss an Vorträge oder Reden dem Vortragenden zu.
- „Die eigentliche Frage hier ist, ob, wenn denn überhaupt intelligentes Leben im All existiert, dieses überhaupt Kontakt wünscht.“
- „Wir müssen, wenn wir über Naturschutzgebiete reden, immer auch die wirtschaftlichen Interessen der Länder betrachten.“
- „Partnerschaft bedeutet vorrangig, dass man wirtschaftlich und sozial füreinander einsteht.“
- „Es geht bei Fabrikunfällen doch nicht darum, wer Schuld hat, sondern wie man sie verhindern kann.“
Was tut man dagegen?
Eine in den Raum gestellte Definition, die tendenziös (→Umdeutung) ist oder der eigenen Auffassung widerspricht sollte immer erwidert werden, indem man sie als subjektiv entlarvt, die Autorität ihrer Quelle in Frage stellt (→Herkunftstrugschluss) und ihr die eigene Deutung gegenüberstellt. Will man sich nicht in Kleinigkeiten verlieren (→Insignifikanz), greift man auf etablierte, gemeinhin als Konsens etablierte Begriffe und Daten zurück (→Mitläufer) und spart Umstände, über die keine Einigung erzielt werden kann, als umstritten aus.
- „Ich habe Chancengleichheit immer so verstanden, dass die unterschiedlichen Lebensumstände ausgeglichen werden, nicht, dass bei gleichen Bedingungen gleiche Chancen geboten werden.“
- „Umgangssprachlich wird Mille im Gegensatz dazu aber nun mal nicht für Tausend, sondern eine Million verwendet.“
- „Ich verwende "Integration" nicht so. Als ich das sagte, meinte ich kulturelle Vielfalt, nicht Assimilation.“
- „Das mag deine Meinung sein, mir geht es aber gerade um die Situation hierzulande, nicht den historischen Kontext.“
- „Wenn du das so siehst, dann lass uns nicht über Religionsfreiheit reden, sondern von Glaubensfreiheit. An hypothetischen Ritualen müssen wir uns ja jetzt nicht aufhalten.“