Handbuch
Emotionale Erpressung
Durch Manipulation der Gefühle des Gegenübers versuchen, Zustimmung zu erzwingen.
Emotionale Erpressung baut auf eine bestehende Beziehung zwischen den Diskussionsteilnehmern auf und kommt daher zwischen Fremden selten zur Anwendung.
Soziale Werte wie Freundschaft, Dankbarkeit und Respekt werden dabei in Geiselhaft genommen und gegen Meinungsänderung des Gesprächspartners zum Tausch angeboten.
Dem Gewinnen einer Diskussion (und damit verbundene Durchsetzung in eventuell damit verbundenen Entscheidungen) wird ein sozialer Wert beigemessen,
der dem Gegenüber angeboten oder mit dessen Entzug gedroht wird.
Dieser Wert kann sowohl konstruiert als auch tatsächlich empfunden sein, dahinter kann also, muss jedoch nicht, manipulative Absicht stehen.
Durch emotionale Erpressung wird aus einem beliebigen Thema eine Loyalitätsfrage gemacht, in der sich statt für einen Standpunkt für oder gegen die Person des Erpressers entschieden werden muss (→Falsches Dilemma). Drohungen (→Physische Gewalt, →Angstargument) und Schmeichelei (→Suggestion) sind Möglichkeiten, sie auch bei Fremden anzuwenden. Auch dabei wird das Sozialverhalten des Anwenders in direkte Abhängigkeit vom Standpunkt des Gesprächspartners gesetzt und damit eine soziale Konsequenz auf die darauf folgende Antwort verhängt.
Besonders häufig wird dabei auf Schuldgefühle zurückgegriffen. Der Anwender sieht sich dabei Ungerechtigkeit ausgesetzt oder gibt es vor, um einen Ausgleich oder eine Wiedergutmachung zu fordern.
Wann wendet man das an?
Ist das Diskussionsthema persönlicher Natur oder wird es so empfunden, kann das durchaus zur Sprache gebracht werden. Soziale Konsequenzen aus den Entscheidungen anderer zu ziehen ist normal und etwas, wovon man sein Gegenüber auch in Kenntnis setzen sollte. Ist man hingegen gar nicht bereit, diese Konsequenzen tatsächlich zu ziehen oder zieht man sie allein, um eine Meinungs- oder Verhaltensänderung zu motivieren, handelt es sich um unnötig ausgeübten Druck, der die persönliche Beziehung zum Gesprächspartner ausnutzt. Die menschliche Ebene sollte erst dann ins Spiel gebracht werden, wenn soziale Folgen unvermeidlich sind.
- „Ich kann mir nicht vorstellen, mit jemandem befreundet zu sein, der solchen Schund liest!“
- „Ich habe deine Alkoholexzesse immer verteidigt. Nun steh doch auch zu mir, wenn ich mal Mist baue!“
- „Ich bin enttäuscht von dir! Ich dachte, wir wären uns einig, was die Schulwahl der Kinder betrifft?“
- „Ich hätte mich so gefreut, wenn du das eingesehen hättest ...“
Was tut man dagegen?
Besonders häufig findet emotionale Erpressung subtil statt, indem durch passiv-aggressiven Tonfall Mitleid (→Mitleidsargument) oder Schuldgefühle geweckt werden beziehungsweise persönliche Unzufriedenheit signalisiert wird. Eine sachliche Fortsetzung der Debatte und sogar ein Überzeugen des Gesprächspartners ist möglich, wenn man dessen Gefühle als weiteren Fakt betrachtet, der berücksichtigt werden muss. So kann man die Situation zum Beispiel so interpretieren, dass der Konflikt für den Gesprächspartner als weniger bedrohlich gesehen wird (→Umdeutung) oder indem das soziale Problem vom Thema separiert und zuerst behandelt wird (→Themenwechsel). Da ein moralisches Dilemma aufgebaut wurde, kann das eigene Gerechtigkeitsempfinden dem des Gesprächspartners entgegengesetzt werden (→Moralischer Pragmatismus). Hat man die Beziehungsebene gelöst oder vom Thema entkoppelt, kann man in seiner Argumentation fortfahren.
Ist das Thema selbst persönlicher Natur und lässt es sich daher von Gefühlen nicht trennen, kommt man nicht umhin, seine eigene Erpressbarkeit zu evaluieren. Sind die sozialen Folgen nicht tragbar, kann zur Schadensbegrenzung ein Kompromiss (→Goldene Mitte) vorgeschlagen werden. Ist man bereit, soziale Kosten aufzubringen, kann man Gegendruck aufbauen, eigene Konsequenzen ankündigen oder sich in der Freiheit der Entscheidung zu behaupten (→Moralischer Legalismus).
- „Wenn du dich darüber wirklich scheiden lassen willst, hast du es mit unserer Ehe dann je ernst gemeint?“
- „Das ist schon lange her und hat mit dieser Entscheidung auch nichts zu tun. Willst das wirklich in diesem Kontext aufwärmen?“
- „Kann ich denn etwas anderes tun, damit du dich nicht vernachlässigt fühlst?“
- „Das kann ich immer noch selbst entscheiden.“