Handbuch


Traditionsargument

auch: Argumentum ad antiquitatem
Berufung auf Tradition


Die Argumentation mit der Vergangenheit ist so gebräuchlich, dass sie einem →Totschlagargument gleichkommt. Reflexartig wird Tradition gegen Neuerungsversuche und Innovationen ins Feld geführt, in der Regel ohne dass ihr außer ihrer Existenz ein Wert zugesprochen wird. Dabei sind es natürlich Werte, die etwas zur Tradition erheben – jede Geschichte nimmt irgendwo einen Anfang und alles, was „schon immer so gemacht wurde“ wurde irgendwann zum ersten Mal so gemacht und muss in seiner Art für gut befunden worden sein, um als ehemals neuer Standard etabliert zu werden, ob als gesellschaftliche Norm, politischer oder wirtschaftlicher Prozess. Gelegentlich wohnt einem Traditionsargument aber auch der Glaube inne, dass besonders kulturelle Sachverhalte eine Art natürliche Ordnung darstellen (→Natürlichkeitsargument), die unveränderlich (→Ignoranzargument) oder unvermeidlich ist. Ein Traditionsargument streicht als Qualitätsmerkmal heraus, dass etwas lang erprobt wurde oder gemeinhin üblich ist (→Mitläufereffekt). Es kann eingesetzt werden, um Althergebrachtes vor Veränderungen zu bewahren oder um zu Aufgegebenem zurückzukehren.


Wann wendet man das an?

Hat sich eine Veränderung als impraktikabel oder Fehlentscheidung herausgestellt, kann ein Traditionsargument eine Rückkehr auf Bewährtes begründen. Traditionen sind risikoarm (→Angstargument), da sie eine Garantie dafür darstellen, dass etwas überhaupt möglich ist. Mit lange Dagewesenem wurden bereits viele Erfahrungen gesammelt, auf die sich in der weiteren Argumentation zurückgreifen lässt (→Fakt), die aber auch Angriffspunkte liefern, wenn schlechte Erfahrungen darunter sind. Grundsätzlich sollte man sich bemühen, gegenüber der Dauer einer Sache die Qualitäten, mit denen sich etwas bewährt hat, in den Vordergrund zu stellen.


  • „„Meine Kinder werden Handwerker, so wie ich, mein Vater vor mir und sein Vater vor ihm. Wir sind ein Familienbetrieb!“
  • „Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin werden schon seit tausenden von Jahren angewandt.“
  • „Wir sind doch bislang auch ohne eine Frauenquote ausgekommen.“
  • „Das bringt die besondere Stellung, die die Ehe in unserer Gesellschaft hat, in Gefahr.“
  • „Das haben wir schon immer so gemacht.“
  • „Onlinestreaming bedeutet das Ende der Unterhaltungsindustrie, so wie wir sie kennen.“

Was tut man dagegen?

Es kann lohnen, den Gesprächspartner darauf aufmerksam zu machen, dass das Alter einer Sache nichts über dessen Qualitäten aussagt (→Gegenargument), man bringt diesen damit aber auch in eine Verteidigungsstellung. Besser ist es, auf die Merkmale, die hinter der Tradition stehen, einzugehen. Haben sich zum Beispiel die Umstände geändert? Basiert die ursprüngliche Entscheidung für eine Tradition auf falschen Annahmen?

Will man dem Gegenüber auf gleicher Ebene begegnen, kann man ein →Innovationsargument entgegnen, in dem man dem positiv besetzten Konzept der Tradition den ebenfalls positiv besetzten Fortschritt gegenüberstellt. Ebenso ist es möglich, Traditionen als verstaubt und überholt darzustellen (→Umdeutung), bestenfalls mithilfe von Beispielen (→Hinkender Vergleich).


  • „Als dieses Gesetz eingeführt wurde, hatten wir noch einen König.“
  • „Die heutige Technik bietet dafür aber viel mehr Möglichkeiten.“
  • „Das wurde doch schon lange widerlegt.“
  • „Wir leben doch aber nicht mehr im Mittelalter.“