Handbuch


Brunnen vergiften

Den Ausgang einer Debatte vorzeitig andeuten; Ein nicht gebrachtes Gegenargument entkräften.


Den Brunnen zu vergiften bedeutet, bildlich gesprochen, Einfluss zu nehmen, bevor daraus getrunken wird. In einer Diskussion heißt das, dass das Ergebnis des Gesprächs einseitig benannt wird, obwohl dieses noch nicht feststeht, oder auf Argumente der Gegenseite eingegangen wird, die diese gar nicht geäußert hat. Diese Strategie ist häufig zu beobachten, wenn ein Gesprächsteilnehmer sich als unparteiisch oder objektiv darstellen will und den Anschein erweckt, für alle Beteiligten zu sprechen anstatt für sich selbst. Sie ist als Versuch zu sehen, →Deutungshoheit über das Gespräch selbst (statt dessen Thema) zu erlangen (→Meta).

Auf Argumente zu reagieren, die vom Gegenüber nicht erwähnt wurden, stellt einen perfiden Sonderfall des →Strohmanns dar: dem Brunnenvergifter bleibt überlassen, Äußerungen zu wählen, die er leicht widerlegen kann, und diese dem Gesprächspartner zu unterstellen. Zu diesem Zwecke können diese auch frei erfunden (→Lüge), an anderer Stelle aufgeschnappt (→Hörensagen ) oder unsympathischen Vertretern der Gegenthese zugeordnet sein. Der Gesprächspartner wird so mit Personen oder Äußerungen in Verbindung gebracht, die dieser möglicherweise gar nicht selbst unterstützt (→Sippenhaft).


Wann wendet man das an?

In der Praxis ist dieses Argument oft sehr subtil, aber stark in der Wirkung. Der Gesprächspartner muss sich gegen versteckte Vorwürfe und Prämissen zur Wehr setzen, die ohne direkte Feindseligkeit geäußert werden können. Damit zählt das Brunnenvergiften zu den Manövern, die besonders in förmlichen Umfeldern, in denen ein guter Ton wichtig ist, verheerende Wirkung zeigen können.

Ein vergifteter Brunnen muss jedoch nicht per se boshaft sein. So lässt sich mit ihm Kontext schaffen, sowohl für die Diskussion an sich als auch für seine Beteiligten. Die Auseinandersetzung mit typischen und häufig vorgebrachten Argumenten ist auch dann wichtig, wenn der Gesprächspartner diese selbst nicht ins Gespräch bringt, andernfalls können zentrale Fragen unbeantwortet bleiben und die vorweggenommene Aussage wird zum Elefant im Raum. So lässt sich auf diese Weise ausloten, wie das Gegenüber zu verbreiteten Ansichten über die von ihm vertretene Meinung steht.


  • „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Sie sich den Fakten beugen. Warum jetzt also lange streiten?“
  • „Den Menschen, die sagen: 'Das Boot ist voll' möchte ich sagen, dass bundesweit hunderttausende Wohnungen leerstehen, und das Boot daher auch dann nicht voll ist, wenn man sich entgegen jeder sozialen Verantwortung weigert, enger zusammenzurücken.“

Was tut man dagegen?

Die Vorwegnahme des Gesprächsergebnisses kann auf gleiche Weise erwidert werden. Eine Gegendarstellung durch Benennen von Alternativen lässt den Ausgang der Diskussion wieder offen.

Mit aufgeworfenen Argumenten muss sich auseinandergesetzt werden. Dabei gerät man leicht in die Situation, Äußerungen anderer zu verteidigen, es steht einem aber ebenso offen, sich von diesen zu distanzieren. Es gilt dabei zu vermeiden, sich auf ein →falsches Dilemma einzulassen, indem man entweder Zugeständnisse durch Ablehnung von Sichtweisen, die den eigenen Standpunkt stützen, macht, oder aber vom Gegenüber bereits kritisierte, von diesem oft negativ portraitierte Äußerungen annimmt. An dieser Stelle ist eine differenzierte Betrachtung der zitierten Argumente wichtig.


  • „Das haben Sie jetzt aber gesagt.“
  • „Das wird sich noch zeigen.“
  • „Gut, dass du gegen meine Argumente offenbar keine Erwiderung hast und stattdessen die anderer Leute angreifen musst.“