Handbuch


Mitläufereffekt

Einer Meinung mehr Wahrheit zuschreiben, weil sie viele Anhänger hat


Der Mitläufereffekt bezeichnet das Phänomen, eine Ansicht eher anzunehmen oder eher eine Entscheidung zu treffen, die in der eigenen Bezugsgruppe bereits verbreitet ist. Im Folgenden wird dieser Begriff verwendet, um den Appell an dieses Prinzip zu bezeichnen, wenn also der Wert einer Sache mit ihrer Verbreitung begründet wird.

Wird sich auf Popularität berufen, um einen Standpunkt zu stützen, kann dies als rhetorische Abkürzung betrachtet werden. Jeder Vertreter einer Meinung hat ja Gründe für diese. Stellvertretend wird der reine Verweis auf die Menge der Anhänger einer Sache verwendet und damit eine Entscheidung (und ihre Begründung) an eine (wahrgenommene) Mehrheit delegiert. Auf Lösungen mit großer Verbreitung zurückzugreifen, hat meist auch praktische und soziale Vorteile. So liegen viele Erfahrungen anderer dazu vor (→Traditionsargument), ein Austausch darüber ist mit vielen Personen möglich und Konformität schafft zwischenmenschliche Harmonie. Diese Faktoren bedürfen aber einzelner Betrachtung, um festzustellen, inwieweit sie anwendbar sind.

In demokratischen Prozessen ist grundlegende Methode der Entscheidungsfindung, um zu verhindern, dass Entscheidungen von Einzelnen oder Minderheiten gegen die Interessen der Mehrheit getroffen werden. Dies soll aber die Entscheidung der Einzelnen nicht an die Mehrheit koppeln - eine Befragung ist nur ausssagekräftig, wenn jeder ungeachtet der Mehrheitsverhältnisse nach den eigenen Ansichten abstimmt.


Wann wendet man das an?

Beliebte Standpunkte zu vertreten, sichert breite Zustimmung. Begründet man sie jedoch mit ebendieser Beliebtheit, hat das wenig Aussagekraft. Ein Appell an Konformitätsbedürfnisse ist besonders dann erfolgversprechend, wenn die Position in einer Gruppe besonders häufig anzutreffen ist, der der Angesprochene gern angehören möchte oder mit der er sich stark identifiziert, kommt jedoch einer →emotionalen Erpressung gleich. Dies lässt sich noch verstärken, indem Minderheiten in dieser Gruppe als untypisch und damit "unecht" ausgeschlossen werden (→Kein wahrer Schotte->).

Beruft man sich hingegen auf die Gründe der hohen Verbreitung, zum Beispiel durch Experten (→Autoritätsargument->), Qualität oder Prozesse kollektiver Intelligenz, lassen sich gegenüber einem reinen Mitläufereffekt oft stichhaltigere Argumente finden.


  • „Alle anderen machen das auch.“
  • „Unser Projekt wird von über hundert namhaften Sponsoren unterstützt.“
  • „Jeder in meiner Klasse hat eine Playstation.“
  • „Wir sind eine globale Bewegung mit Millionen Mitgliedern.“

Was tut man dagegen?

Die Anwendung des Mitläufereffekts deutet auf hohe emotionale Voreingenommenheit gegenüber der Gruppe, in der der Standpunkt populär ist, hin. Wer so argumentiert, legt meist großen Wert auf Anerkennung oder darauf, Teil einer bestimmten Gruppe zu sein. Erfolgversprechend ist daher, Beispiele für abweichende Meinungen aus derselben Gruppe zu finden, die als alternative Vorbilder dienen können.

Ebenso wie an reinen Herdentrieb kann man auch an das Ego des Gegenübers appellieren. Sich von der Masse abzuheben und zu einer aufgeklärten Elite zu gehören übt einen gewissen Reiz aus. Ist die Lust an Rebellion erst einmal geweckt, ist der Gesprächspartner zugänglicher für sachliche Argumente.

So kommt Popularität oft nicht durch Qualität (allein) zustande - ein beliebtes Produkt wird möglicherweise aggressiv beworben, oder kann aufgrund von Herstellung oder Verarbeitung in Niedriglohnländern besonders billig angeboten werden. Ein Standpunkt kann sich durch Bedienung verbreiteter Vorurteile oder geläufiger Irrtümer durchsetzen. Solche Hintergründe können aufgedeckt werden.


  • „Und wenn deine Freunde alle von der Brücke springen, springst du dann auch?“
  • „Sie mögen viele Kunden haben, deren Zufriedenheit ist aber wiederum eine ganz andere Sache. Sie haben in der Region ja gar keine Konkurrenz und um Ihren Kundenservice ist es auch schlecht bestellt.“
  • „Dass ausgerechnet du da so unreflektiert mitläufst ... das ist halt was für die ungebildete Masse.“
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