Handbuch


Perfektionismus

Eine Lösung ablehnen, weil sie nicht perfekt ist.


Perfektionismus vergleicht einen diskutierten Vorschlag mit einem hypothetischen Idealfall (→Hinkender Vergleich) – das Ergebnis dieses Vergleichs muss zwangsläufig enttäuschen. Häufig wird auf diese Weise argumentiert, wenn Idealismus und Realismus aufeinandertreffen. Von der bestmöglichen Lösung eines Problems wird in der Regel abgewichen, weil diese unmöglich, unbezahlbar, impraktikabel oder nicht konsensfähig ist. In der Realität müssen daher verschiedene Aspekte einer Idee gegeneinander abgewogen werden, was meist Abstriche von der →Wunschvorstellung bedeutet. Die pauschale Ablehnung eines solchen Kompromisses stellt ein →Falsches Dilemma her und verhindert, dass Teillösungen oder erste Schritte in eine Richtung überhaupt akzeptiert werden, obwohl über die Zielvorstellung Einigkeit herrscht. So kann Perfektionismus auch vorgetäuscht werden, um unliebsame Maßnahmen zu verhindern, ohne die Beweggründe für diese Ablehnung preiszugeben. In dieser Form findet geheuchelter Perfektionismus oft Anwendung in der Politik.


Wann wendet man das an?

Kritik an der Unzulänglichkeit eines Vorschlags ist dann angebracht, wenn von einer guten Idee aus Gründen der Umsetzbarkeit so stark abgewichen wird, dass ihr Zweck nicht mehr erfüllt wird. Der Verwässerung von Maßnahmen bis zur Unkenntlichkeit wird entgegengewirkt, indem sie einerseits mit dem Ursprungsgedanken und andererseits mit dem Status quo verglichen werden. Perfektionismus kann hier das Problem aufzeigen, es aber nicht lösen.


  • „Kein Riesenrad? Was soll ich dann auf dem Jahrmarkt?“
  • „Bei so vielen Ausnahmen kann doch gar nicht von einem Mindestlohn gesprochen werden.“

Was tut man dagegen?

In aller Regel ist eine schlecht umgesetzte gute Sache immer noch besser als gar keine gute Sache – dem Vergleich mit einer unrealistischen Phantasie kann immer der Vergleich mit dem Wegfall der besprochenen Maßnahme oder Sache entgegengesetzt werden. Die Gründe, aus denen Perfektion nicht erreichbar ist, können ebenfalls ins Feld geführt werden. Im günstigsten Fall ergibt sich bei der Analyse der Schwachstellen eines Vorschlags ein besserer Kompromiss. Die Pflicht, eine bessere Lösung vorzuschlagen, kann auch auf das Gegenüber zurückgeführt werden und befreit aus der Verteidigungshaltung, in die man durch Rechtfertigungen gelangen würde. Ein Perfektionismusargument ist zunächst wenig konstruktiv und kann auf diese Weise leicht abgeschmettert werden, wenn es als Angriff oder Störung anstatt Ausdruck von Bedenken vorgebracht wird.


  • „Stollen mit Rosinen ist immer noch besser als gar kein Stollen.“
  • „Dann schlag doch etwas anderes vor.“
  • „Kein Motor hat 100% Wirkungsgrad – für den Preis ist der Treibstoffverbrauch nicht schlecht.“